27. Dezember 2008 / Salzwedel Aggro NPD-SA

„Jetzt ist Krieg hier!“

breiter zivilgesellschaftlicher Protest behindert gewaltbereiten Neonaziaufmarsch

Am 27. Dezember 2008 nahmen etwa 280 bis 300 Neonazis, vorwiegend aus Sachsen-Anhalt und Niedersachsen, an der Jahresabschlussdemonstration des NPD-Kreisverbandes Salzwedel teil. Unter dem Motto: „Unser Volk lässt sich nicht verspekulieren! Aufstand wagen – Kapitalismus zerschlagen!“ fand der wohl aggressivste Neonaziaufmarsch in Sachsen-Anhalt statt. Die Neonazis griffen zum Auftakt Gegendemonstranten an und durchbrachen mehrfach das Spalier von Polizeikräften. Flaschen, Steine und Pyrotechnik wurden von den Neonazis geworfen. Nach zivilgesellschaftlichem Protest gelang es dennoch, den Aufmarsch nach wenigen hundert Metern zum Rückzug zu zwingen.

Aufgrund einer Sitzblockade von 400 Menschen wurde es den Neonazis verunmöglicht, ihre ursprünglich geplante Route in Anspruch zu nehmen. Mit zwei Stunden Verspätung sollte der Aufzug dann umgeleitet werden. Eine kleine Sitzblockade von etwa zwanzig Bürgern blockierte jedoch auch diesen Weg vom Bahnhof in die Innenstadt. Nach der Aufforderung per Lautsprecher von Heiko Krause, dass die Teilnehmer sich bis zum Ausgang des abgesperrten Sammelpunktes begeben sollten, kam es zum ersten Durchbruch der Neonazis. Unter „frei – sozial – national“ und „Nationaler Sozialismus – jetzt – jetzt – jetzt“, überrannten die Neonazis die bürgerliche Sitzblockade. Unvorbereitet und überrascht hatte die Polizei viel Mühe Schlimmeres zu verhindern und die Situation wieder zu beruhigen. Im weiteren Verlauf des Aufmarsches durchbrachen die Rechtsextremen noch mehrfach die Polizeiketten.

Als die Veranstaltung wiederholt zum Stehen kommt singen zahlreiche Neonazis im Chor das NS-Kampflied „Ein junges Volk steht auf“. Wegen dem Text dieses Liedes auf einer Internetseite ist im März d. J. bereits die JN-Bundesgeschäftsstelle in Bernburg von der Polizei durchsucht worden. Die Hymne der Hitlerjugend wurde in Vergangenheit von der NPD bereits für einen Wahlwerbespot verwandt, was umfangreiche Ermittlungen in mehreren Bundesländern nach sich zog. Das Abspielen, Singen oder Anbieten dieses Liedes stellt eine Straftat gemäß Paragraph 86a StGB (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) dar.

„Wir haben dieses System von Grund auf satt.“, so der Hauptredner Dieter Riefling, extrem rechter Vertreter des nationalen Widerstandes in Hildesheim. „Wir verlangen die Abwicklung dieser faulen und modrigen Gesellschaft, dieses kranken Systems und haben dafür auch eine Alternative. Die Alternative des wahren sozialistischen Deutschlands – das der nationalen Prägung. Wir stehen heute hier für die Erneuerung unserer Heimat. Denn wir lieben unser Land, aber wir alle die wir heute hier stehen hassen dieses System.“, resümiert Riefling nach seiner extrem völkischen Kapitalismus- und Globalisierungskritik. „Wir sagen Nein zu diesem System der sogenannten Demokratie – Wir sagen Nein zu dieser Globalisierung, die den deutschen Arbeiter zu einer hirnlosen Masse degradiert.“ Die anwesenden Protestierenden rings um die Zwischenkundgebung spricht er direkt an. Den „Volksgenossen mit der anderen Feldpostnummer“, wie der Neonazi sie nennt, will er symbolisch die Hand reichen. „Lasst Euch nicht einreden dass wir die Bösen sind, denn wir sind die Guten.“, so der offenkundige Querfrontler nach einer Aufforderung, sich der menschenverachtenden Ideologie der Volksgemeinschaft anzuschließen. „Wenn wir den Wandel mit oder ohne Euch geschafft haben, werden wir Euch erneut die Hand reichen. Doch wenn ihr uns daraufhin wieder die Faust zeigen solltet, dann werden wir sie aufbrechen sodass ihr niemals wieder die Faust gegen deutsche Arbeiterinnen und Arbeiter erheben könnt.“, droht der Neonazi den Gegnern.

„Wir wollen, dass es Allen in unserer Volksgemeinschaft wieder besser geht.“, so der ehemalige Kader der verbotenen Organisation FAP. „Wir wollen diese Demokratie nicht. Wir wollen dieses verlogene System nicht. Wir wollen freie Deutsche in einem freien Deutschland sein. (…) Wo wir stolz sein können wieder Deutsche zu sein. Wir wollen kämpfen für eine bessere Zukunft, lassen uns dabei nicht von diesem sterbenden System davon abhalten. (…) Wir kämpfen weiter bis die Fahne der Freiheit wieder über Deutschland weht. Unser Marsch geht weiter bis zum endgültigen Sieg.“, so der 40-Jährige zum Abschluss seiner Kampfrede mit bebender Stimme. Die Mehrheit der anwesenden Rechtsextremisten applaudiert dem altgedienten Aktivisten des nationalen Widerstandes euphorisch. Wie er zu einer Gesellschaft nach seinen ideologischen Vorstellungen gelangen will, wird dem Zuhörer unmissverständlich klar. Demokratische Mehrheitsentscheidungen und Meinungsbildung werden dabei keine Rolle einnehmen.

Zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure organisierten einen breiten Protest in der Hansestadt. 500 bis 600 Teilnehmer nahmen u.a. an Kundgebungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes, des Bundesministeriums für Familien, Senioren und Jugend und des Salzwedeler Stadtrates teil. Dem breiten Bündnis engagierter Bürger, Kirchen und Antifagruppen gelang es mehrfach, trotz aggressivem Auftreten der Polizei, mit friedlichen Sitzblockaden der NPD und ihren Sympathisanten den Weg zu erschweren und letztendlich zu verunmöglichen. Nachdem der extrem rechte Aufzug innerhalb einer Stunde nur wenige hundert Meter absolvieren konnte, beendeten die Organisatoren die Veranstaltung kurz nach 16.00 Uhr selbst.

„Wir lassen uns das nicht gefallen.“, tönte es anschließend über die Lautsprecheranlage. „Wir lassen uns nicht verbieten. Uns kann man nicht aufhalten. Wir kommen wieder.“, waren die lautstarken Kampfansagen der Organisatoren, was die extrem rechten Teilnehmer quittierten mit: „BRD – Judenstaat – wir habe dich zum kotzen satt.“ Die Empörung, dass die Polizei den Rechten an dieser Stelle nicht mehr zielgerichtet den Weg freigeknüppelt hatte war deutlich spürbar. Sprechchöre wie: „Die Straße frei der deutschen Jugend!“, „BRD heißt das System – morgen wird es untergehen.“  oder „Hier marschiert der nationale Widerstand.“, wechselten sich ab mit Drohungen, wie „Wir kriegen Euch alle!“, gegen Protestierende am Straßenrand. Die Aussage eines einzelnen Neonazis: „Jetzt ist Krieg hier!“ nach dem Sprechchor: „Nie wieder Krieg, nach unserm Sieg.“, schien die Weichen für den Rückweg zum Bahnhof voraus zu zeichnen. Dieser gestaltete sich sehr zögerlich, da es auch hier noch mehrfach zu Rangeleien von Neonazis mit der Polizei kam. Laut Polizeiangaben wurden aus dem Aufmarsch heraus neben Pyrotechnik auch Steine und Flaschen geworfen.

Mehr dazu unter: Recherche Nord, mdr.de-Video

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